Janine/ März 22, 2020/ Alle Artikel, Alter, Krankheit, Schreiben

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Mein Leben hat sich seit etwa zwei Wochen völlig verändert. Ebenso wie alle anderen Menschen muss ich mich jetzt an ein Leben mit dem Corona-Virus gewöhnen. Nein, keine Sorge, ich bin (noch) nicht infiziert und mein Rechner auch nicht. Aber diese unsichtbare Bedrohung hängt über mir und beeinträchtigt mein Wohlbefinden. Vor allem, weil ich natürlich zur Hochrisikogruppe gehöre. Mit 75, bald sogar 76 habe ich sehr gute Chancen, an einer Corona-Erkrankung zu sterben. Eigentlich hat sich für mich gar nicht viel verändert: Ich gehe auch sonst selten aus, treffe mich selten mit Freunden, bin gern zuhause mit meinen Katern und meinen Bücher und natürlich auch meinem IMac und mit Facebook und Twitter. Aber jetzt ist es etwas anderes: Ich darf nicht aus dem Haus gehen, weil diese Bedrohung da ist. Die Bedrohung, die ich nicht kenne, die ich nicht sehen kann und von der ich auch nicht genau weiß, wo sie droht. Ich fühle mich eingeschlossen und meiner Freizeit beraubt. Tröpfcheninfektion, was heißt das eigentlich? Dass mich jemand anspuckt oder anniest? Passiert mir selten. Oder kann mich jemand anstecken, der weder spuckt noch niest, der aber das Virus schon in sich trägt, weil er angespuckt oder angeniest wurde, aber noch keine Symptome hat? Oder, weil er jünger ist, sie auch nie bekommen wird? 

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Was sich geändert hat, ist, dass ich irgendwie Angst habe. Obwohl ich seither wirklich nur einmal aus dem Haus gegangen bin, um meine Haare schneiden zu lassen. War das schon falsch? Einkaufen muss ich nicht: Ich habe das große Glück, dass sich ein junges Ehepaar im Haus bereit erklärt haben, für mich und andere etwas einzukaufen. Und auch eine Frau, die ich gar nicht besonders gut kenne, hat mich spontan angerufen und sich angeboten, für mich einzukaufen. Es ist wunderbar, in dieser Krise zu erfahren, dass Menschen hilfsbereit und freundlich zueinander sind. Auch meine Nachbarn, ebenso alt wie ich und mit dem, was die Amerikaner eine underlying health condition nennen, wie heißt das auf Deutsch?  Sie sind also nicht kerngesund und ihnen hat ein Ehepaar, das sie gar nicht kennen, mit dem sie sich aber ab und zu von Balkon zu Balkon gegenüber zuwinken, angeboten, für sie einzukaufen. Erstaunlich, was hier plötzlich an Hilfsbereitschaft sichtbar wird. Ich muss also gar nicht aus dem Haus, was bedeutet, dass die Möglichkeit, sich anzustecken, relativ gering ist, aber ich habe dennoch Angst. Aus Angst habe ich sogar beschlossen, dass meine Tochter mich nicht besuchen darf, ich sie auch nicht, wir auch nicht zusammen essen gehen, weil sie systemrelevant ist und täglich mit Klienten zu tun hat, von denen man nicht wissen kann, ob oder wie vorsichtig sie sind. Sie muss sogar öfter mit ihnen in deren Wohnung gehen, obwohl sie jetzt eher Spaziergänge im Freien vorschlägt. Jetzt habe ich auch noch Angst um ihre Gesundheit.

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Bin ich schon hysterisch? Meine Angst ist gestiegen als ich eine Dokumentation aus China gesehen habe, in der ein junger Ehemann das Geschehen in seiner Umgebung und eben auch seine erkrankte Frau filmt. Die Verzweiflungsschreie dieser Frau und das Weinen hat mich unglaublich beeindruckt. Ich hatte mir unter der Erkrankung nicht so richtig etwas vorstellen können, aber in dieser Dokumentation wurde sichtbar, wie sehr diese junge Frau litt. Dann hat ein Schauspieler aus Hawaii aus der Serie Hawaii Five O, den ich besonders attraktiv finde, gerade berichtet, dass er sich vermutlich auch angesteckt hat und dass der Test, bei dem ein relativ großer Spatel tief in die Nase gesteckt wird, richtig weh tut. Und ich habe dermaßen Angst vor Schmerzen! Als letztes war ein amerikanischer Senator zu sehen, der sich schon angesteckt hat und jetzt zuhause in Quarantäne ist. Er sah ziemlich schlecht aus und berichtete, dass er kaum Luft bekommt und er das Gefühl hat, dass sich ein Metallband um seinen Brustkorb gelegt hat. Es sei wirklich eine schreckliche Krankheit. Durch diese Beschreibungen ist die Krankheit greifbarer für mich geworden. Und ich habe Angst.

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Um meine Angst etwas zu reduzieren, habe ich jetzt das gemacht, was uns in zahlreichen Facebook- oder Twittereinträgen von Psychologen/innen geraten wird: Ich strukturiere meinen Tag, obwohl ich es hasse, meinen Tag zu strukturieren. Ich bin doch inzwischen in dem Alter, in dem man tun darf, was man will und wann man es will, oder? Was kann ich überhaupt strukturieren? Also ich stehe jeden Tag zur gleichen Zeit auf, nämlich 7:30. Nein, nicht, weil ich das will, sondern weil dieser blöde Giacometti, mein übergewichtiger grauer British Shorthair Kater, sich so dicht neben mein Gesicht setzt, dass ich kaum Luft kriege und anfängt, anhaltend zu fiepsen. Ich habe schon versucht, ihn nachts im Badezimmer einzuschließen, aber er hat ein derartiges Theater angestellt, dass ich ihn schon mit Rücksicht auf die Nachbarn neben und unter mir wieder herausholen musste. Es war so ein Geschrei und Gekratze, dass ich befürchtet habe, er hätte die Badezimmertür zersplittert. Nein, nur zerkratzt. Also, das mit dem 7:30 ist schon ziemlich viel Struktur.

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Was kann man noch tun? Das Bett ordentlich machen, obwohl ich sonst manchmal nur die Bettdecke gerade ziehe. Ok, mache ich ab morgen. Dann regelmäßig Blog schreiben, die Ordner mit schönen, farbig abgestimmten Rückenschildern versehen und mit den Kindern skypen. Aber wenn ich das täglich will, dann gehe ich ihnen sicher auf die Nerven. Also alle zwei Tage. Aber da ich vier Tage habe kommt ja auch nur jeder alle vier Tage dran. Obwohl, wenn ich meine süße Enkeltochter Carlotta noch dazunehme…? Was fällt euch noch ein? Die Terrasse bepflanzen geht nur, wenn ich vorher Pflanzen bestelle und dann muss das jemand für mich machen, weil ich die Kraft nicht mehr habe. Aber wenn der nette Helfer nun an seinen Arbeitsschuhen Corona-Viren hat? Ach ja, dann könnte ich die Steuererklärung für 2019 noch fertig machen. Jeden Tag einen Monat, dann habe ich lange daran zu tun, denn die Corona-Krise geht ja nicht plötzlich weg. Aber 12 Monate sollte sie doch nicht dauern? Jetzt bekomme ich noch mehr Angst. Obwohl, wenn ich an die Steuererklärung denke, dann weiß ich doch nicht, ob das mit der Struktur während der Krise so eine gute Idee ist.

Mein Corona-Tagebuch: Angst vor der unsichtbaren Krankheit

Aber wenn ihr noch keine Struktur habt und euch langweilen solltet in der Krise, dann kann ich mein neues Buch empfehlen „Wer früher plant, ist nicht gleich tot“. Kann man bei Amazon oder auch in netten kleinen Buchhandlungen erstehen, die jetzt in der Krise auch auf Online Versand umgestiegen sind. Wenn ihr besorgt seid, dass es sich um ein trockenes oder gar trauriges Thema handelt, dann kann ich euch versichern: Ihr werdet oft dabei lachen müssen. 

Gerade hat mir eine Freundin, deren fachliches Urteil ich eher fürchte, geschrieben: Liebe Janine,
gestern war Dein schönes Buch in meinem Briefkasten, tausend Dank! Ich habe es sogleich nonstop gelesen, konnte und wollte es nicht aus der Hand legen. Nun hoffe ich, dass es trotz geschlossener Buchläden weithin seine Leser findet – eine Bestseller-Position sollte ihm sicher sein.

Hier noch eine Inhaltsbeschreibung meines Buchs vom Verlag:

presse-Berg_Peer_Wer_früher_plant_Korrekturtext.docx

Bis bald. Wegen der Struktur.

P.S. Was kocht ihr eigentlich während der Quarantäne?