Louvain oder auch Leuven ist keine ganz kleine Stadt. 90000 Einwohner plus 30000 Stundenten, wie mich gestern mein flämischer Taxifahrer informierte. Und die Universität hat einen sehr guten Ruf. In einem zweiten Leben werde ich hier studieren.
Aber darüber wollte ich ja gar nicht schreiben. Ich bin hier eingeladen zu einem ernsten Kongress, wir arbeiten viel, gucken uns PowerPoint-Präsentationen an und treffen wichtige Entscheidungen. Aber ich habe mich klug gegen eins der üblichen Hotels in der Stadtmitte entschieden, sondern eines ausgesucht, dass schon auf der Webseite süß aussah. Alte Mauern, glänzende Holzböden und in der Nähe eines alten Klosters. Glaube ich. Daher der Name.
Ich lebe hier für ein paar Tage im kleinen Beginenhof.
Schon von außen ungewöhnlich. Vor einer langen Häuserreihe aus roten Klinkern in einer dieser kleinen Straßen mit den fußunfreundlichen Cobblestones hält mein Taxi. Numéro 97, Madame. Er guckt skeptisch. Ich auch. Es regnet monsunartig, nachdem wir vorher im nicht-klimatisierten Zug vor uns hin dampften. Bitte nicht wegfahren, rufe ich fließend französisch, da er es sich schon wieder in seinem Van gemütlich gemacht hat. Ich drücke auf das winzige Schild und tatsächlich – eine freundliche junge Frau öffnet, sieht mich klitschnaß dort stehe und zieht mich herein. Sie bietet mir eine Tasse Tee an und reicht mich weiter an den Chef, wie sie sagt. Ihren Mann.
Ich gucke mich um und denke, dass ich hier an einem Ort gelandet, an dem ich immer schon sein wollte. Ein kleines schmales Haus mit mehreren Etagen, vom großen Raum, in dem man frühstücken und abends vor dem Kamin fernsehen kann – gerne zusammen mit den Besitzern. Und eine wunderschöne Glastür zum Garten, der sich schmal aber wunderschön gestaltet weit nach hintern erstreckt.
Steile Holztreppe und geschmackvolles Interieur im Gasthaus
Mein Landlord nimmt mir sofort den Koffer ab – er geht schon ein bisschen in die Knie, schafft es aber mannhaft, diesen extrem schweren Koffer (alles Bücher) die sehr schöne, aber auch sehr steile Holztreppe hinaufzutragen. Und dann mein Zimmer! Klein, aber jedes Detail mit Liebe und vor allem viel ästhetischem Feingefühl eingerichtet. Direkt neben meinem Bett ein großes Fenster zum Garten. Das Bad geradezu Schöner Wohnen-mäßig, schwarzer Marmor, seidenweiches Holz. Überhaupt: Ich persönlich bin ja gar keine Freundin von diesem vielen Holz. Ich mag auch Plastik. Oder Fliesen. Oder Linoleum. Aber dieser Fussboden!!! Wer ist schon einmal über Seide gelaufen? Hier kann man das. Unglaublich. Ich würde gerne hierbleiben, muss aber zu einem gemeinsamen Abendessen in ein italienisches Restaurant. Wo sonst, klar, wenn sich internationale Konferenzmitglieder treffen. Hätte man nicht einmal etwas anderes aussuchen können? Ein Land unserer Teilnehmer? Aber ich bin ganz froh, dass wir kein litauisches Restaurant ausgesucht haben, so nett der Kollege Vaitotas auch ist. Ich frage Michael, den Landlord, nach der Adesse. Und nach einem Taxi. Er wiegt nachdenklich den Kopf. Es scheint nicht einfach zu sein mit Taxis in Louvain.
Und das tut er das, was alle Menschen tun, wenn man nach einem Taxi fragt. Er behauptet, es sei gar nicht weit und beginnt mir zu erklären, wie ich laufen soll. Jetzt geradeaus, dann an der zweiten Ecke links, nicht ganz links, sondern schräg links, da ist dann ein Café, das erkennt man sofort, dann etwa 200 m geradeaus und dann rechts in die große Strasse. Dann gibt es mehrere Mögichkeiten, also, dann gehen Sie…
Ich hasse es. Ich habe schon nach “geradeaus” abgeschaltet. Aber Michael sieht meine Zweifel und entscheidet, dass er mich rasch mit seinem Auto dorthin bringt. Süß. Und den Weg hätte ich nie gefunden. Ähnlich geht es mir mit dem “Pepe Nero”, in dem wir uns treffen sollen. Eine enge Fussgängerstrasse, in der rechts und links ein Restaurant neben dem anderen ist. Zwischen den Tischreihen der rechten und linken Restaurants kann auch ein Mensch sich nur mit Schwierigkeiten durchquetschen. Aber alle sind in prima Stimmung. Meine Frage nach einem italienischen Restaurant wird mit großem Gelächter quittiert. Welches? Hier gibt es vermutlich 10 davon. Aber das “Pepe Nero” kennt jeder. Es wird dann auch ein netter Abend.
Das Frühstückshuhn im Beginenhof
Aber das wollte ich überhaupt nicht erzählen, sondern mir ging es ja um die Geschichte mit dem Huhn. Als ich am nächsten Morgen in den großen Raum komme – elegantes Geschirr, frisch gepresster Orangensaft, eine Schale mit Erdbeeren, schöner Käse, dunkles Brot – herrlich, kommt mein Landlord mit dem Kaffee. Er druckst ein bisschen herum. “Das ist jetzt ein bisschen kompliziert. Wollen Sie das Ein weich oder mittelweich oder hart?”, fragt er in seinem schüchternen und zögernden Französisch. Wir stellen übrigens nach zwei Tagen Unterhaltung in Französisch fest, dass sein Englisch und Deutsch besser ist als sein Französisch. Er entschuldigt sich, weil sein Französisch deutlich schlechter ist als meines. Sagt er. Ha!!
Also das Frühstücksei. Nachdem wir auch diese chose un peu compliquée gelöst haben, bekomme ich das beste und leckerste Frühstücksei, das ich je gegessen habe. Er strahlt, kommt fünf Minuten später wieder. “Hier, fassen Sie mal an, es ist noch ein bisschen warm!” Er drückt mir ein rohes Ei in die Hand. Tatsächlich, leicht warm. Wie kommt´s? Na, eins seiner beiden Hühner hinten im Garten hat das gerade gelegt. Nein! Mitten in der Stadt, wenn auch nicht ganz Mitte, wohne ich in einem designten Hotel und bekomme ein Ei von hauseigenem Frühstückshuhn!
Statt EU lieber Espresso im Beginenhofgarten
Und so geht es weiter. Ich schwänze den Ausflug nach Brüssel zur EU – ich habe keine Lust, durch Gebäude zu rennen und mit die EU erklären zu lassen, kann ich im Internet sehen und lesen. Ich fände es auch in Berlin absurd, durch das Innenministerium zu laufen und mir Büroräume anzuschauen. Aber hier lockt der Garten. Ich sitze auf einer ebenfalls designten Gartenliege, habe mich den Hühnern vorgestellt, sie gackern leise in ihrem kleinen Gehege vor sich hin, und lasse Michaels hinreissenden Garten auf mich wirken. In drei Jahren hat er hier ein Paradies geschaffen. Ich lese. Ich döse. Ich schlafe. Ich lasse das viele Grün auf mich wirken. Plötzlich erscheint Michael leise mit einem Tablett. “Ich hatte das Gefühl”, sagt dieser wundervolle Mensch, “dass Sie jetzt einen Espresso brauchen”. Er stellt ein schönes Tablett mit einer Tasse Espresso, einem Kännchen Milch und Zucker vor mich (alles designt), ohne den obligatorischen Keks und das schwarze Schokolädchen zu vergessen. Er hatte so ein Gefühl!
Ja, so war das in Leuven. Ein Paradies. Da werde ich noch einmal für längere Zeit hinfahren. Man kann dort übrigens auch außerhalb der Restaurantstrasse wundervoll essen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Und jetzt kann ich auch mit Stolz verraten, dass ich eine belgische Großmutter hatte. Deren Namen ich trage. Früher habe ich das immer schamhaft verschwiegen und gehofft, dass alle denken, sie war Französin. Aber jetzt ist es an der Öffentlichkeit (was wohl die Schufa dazu sagen wird?) Ich bin ein Mischmasch: Mutter: halb Belgien, halb Griechenland. Vater fast rein deutsch, mit schwedischer Großmutter. Oder Urgroßmutter?
Egal, meine belgische Seite werde ich pflegen. Und vor allem Dank an meinen wunderbaren Landlord im Begijnhof in Leuven. Oder Löwen. Oder Louvain. Der übrigens Soziologe ist und sich erst mit seiner Frau vor 5 Jahren dazu entschieden hat, dass es ihnen Spaß macht, Gäste zu haben und sie daher dieses kleine Juwel ausgebaut haben.
www.guesthousebegijnhof.be
Auf der Rückfahrt bekam ich im Zug nach Berlin auch noch einen sehr schönen Rotwein zu trinken: Er heißt “Urschrei”.
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